Grundsätze des Strahlenschutzes
Ionisierende Strahlung kann sowohl deterministische als auch stochastische Wirkungen auslösen.
Deterministische Wirkungen treten erst oberhalb eines Schwellenwerts (einer bestimmten Dosis) auf. Bei deterministischen Strahlenschäden nimmt die Schwere des Schadens mit der Dosis zu. Deterministische Schäden sind zum Beispiel Hautrötung oder Haarausfall, bei höheren Dosen kommt es zum Organversagen. Für stochastische Wirkungen gibt es keinen Schwellenwert. Bei stochastischen, zufallsbedingten Strahlenschäden hängt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von der Dosis ab. Die Schwere des stochastischen Strahlenschadens ist dagegen von der Dosis unabhängig.
Der Strahlenschutz hat das Ziel, deterministische Strahlenwirkungen zuverlässig zu verhindern und das Risiko für stochastische Wirkungen auf ein vernünftigerweise erreichbares Maß zu reduzieren. Die Dosisgrenzwerte sind so festgelegt, dass deterministische Wirkungen ausgeschlossen sind.
Das Strahlenschutzgesetz unterscheidet drei Expositionssituationen:
- geplante Expositionen, die durch Tätigkeiten beziehungsweise Arbeiten verursacht werden, einschließlich des fliegenden Personals,
- bestehende Expositionen aus Bauprodukten, Radon in Aufenthaltsräumen und an Arbeitsplätzen sowie den Expositionen aus den Folgen von Notfallexpositionen sowie
- Notfallexpositionen in Folge von Unfällen, vorsätzlichen Expositionen und den Expositionen von Einsatzkräften in Gefahrenlagen.
Um das Risiko für stochastische Schäden durch ionisierende Strahlung so gering wie möglich zu halten, wurden im Strahlenschutz drei allgemeine Grundsätze für den Umgang mit ionisierender Strahlung festgelegt. Diese Grundsätze gehen auf Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) zurück und sind Bestandteile des Strahlenschutzrechts:
- Rechtfertigung
- Dosisbegrenzung
- Optimierung
Gebot der Rechtfertigung
Jede neue Anwendung ionisierender Strahlung oder jede neue Verwendung radioaktiver Stoffe durch den Menschen bedarf der Rechtfertigung. Dieses Rechtfertigungsgebot gilt auch, wenn Menschen durch neue Tätigkeiten einer bestehenden, meist natürlichen Strahlenexposition in erhöhtem Maße beruflich ausgesetzt sind (zum Beispiel der kosmischen Höhenstrahlung beim Fliegen oder NORM (Natural occuring radioactive material)-Tätigkeiten).
Das Gebot der Rechtfertigung bedeutet, dass eine Exposition mit ionisierender Strahlung nur dann zulässig ist, wenn damit für den Einzelnen oder die Gesellschaft ein angemessener Nutzen verbunden ist. Angemessen bedeutet hier, dass der Nutzen ein mögliches gesundheitliches Risiko überwiegt. Diese Risiko-Nutzen-Abwägung kann auch dann erforderlich werden, wenn für eine bereits praktizierte Tätigkeit wesentliche neue Erkenntnisse vorliegen.
In der Medizin, in der ionisierende Strahlung zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken angewendet wird, besitzt das Konzept der Rechtfertigung eine besondere Ausprägung: Bei medizinischen Anwendungen muss zusätzlich eine Ärztin/ein Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz die sogenannte rechtfertigende Indikation stellen. Die rechtfertigende Indikation erfordert die Feststellung, dass für die spezielle Anwendung an einer Person der gesundheitliche Nutzen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt.
Gebot der Dosisbegrenzung
Strahlendosen aus geplanten Expositionen, denen Menschen ausgesetzt werden, dürfen bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten (Dosisbegrenzung). Dabei gelten für die allgemeine Bevölkerung und für beruflich strahlenexponierte Personen unterschiedliche Grenzwerte.
Die Grenzwerte für die Bevölkerung bestimmen, wie viel Strahlung eine Einzelperson durch gerechtfertigte Tätigkeiten (zum Beispiel aufgrund des Betriebs von Kernkraftwerken) zusammengefasst maximal erhalten darf. Diese Grenzwerte werden häufig mit weiteren Grenzwerten für bestimmte Expositionspfade unterlegt. Ein Expositionspfad beschreibt hier den Weg, auf dem Menschen ionisierender Strahlung ausgesetzt werden können:
- durch Einatmen (Inhalation),
- durch Aufnahme mit der Nahrung (Ingestion) oder
- von außen durch die Umgebungsstrahlung.
Grenzwerte für bestimmte Expositionspfade gewährleisten, dass die Grenzwerte für die effektive Dosis und für die Organdosen sicher eingehalten werden und nicht ein Expositionspfad die Gesamtexposition bestimmt.
Für die beruflich bedingte Strahlenexposition gibt es unterschiedliche Grenzwerte für
- den ganzen Körper und zusätzlich für Körperorgane,
- unterschiedliche Zeiträume (Monat, Jahr, Berufsleben),
- verschiedene Personengruppen (Jugendliche, Erwachsene, Frauen in gebärfähigem Alter, Schwangere).
Keine Grenzwerte gibt es dagegen für medizinisch bedingte Strahlenexpositionen, also für Diagnostik oder Therapie. Hier gelten die rechtfertigende Indikation durch die fachkundige Ärztin/den fachkundigen Arzt und das Optimierungsgebot. Durch diagnostische Referenzwerte wird ein Richtwert vorgegeben, der unter Beachtung der besonderen Bedingungen der Patientin/des Patienten möglichst unterschritten beziehungsweise eingehalten werden sollte.
Gebot der Optimierung
Ist eine mit Strahlenexpositionen verbundene Tätigkeit gerechtfertigt, so ist dennoch als oberster Grundsatz der Optimierung jede unnötige Strahlenexposition und Kontamination zu vermeiden.
Das Gebot der Optimierung hat das Ziel
- die Wahrscheinlichkeit einer Exposition,
- die Anzahl der exponierten Personen sowie
- die individuelle Dosis, die auf eine Person einwirkt,
unter Berücksichtigung des jeweils gegenwärtigen technischen Erkenntnisstandes sowie wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten. Im deutschen Strahlenschutzrecht gilt das sogenannte Minimierungsgebot. Danach sind unnötige Strahlenexpositionen zu vermeiden und unvermeidbare so gering wie möglich zu halten.
Das Gebot der Optimierung ist anzuwenden, wenn die jeweils gültigen Grenzwerte eingehalten werden. In diesem Fall ist der entsprechende Grenzwert so weit wie möglich zu unterschreiten.